Hallo Jürgen, ich hoffe, du hast dich seit der Ankunft aus Beijing wieder an den grauen Berufsalltag gewöhnt. Mir zumindest ist es anfänglich nicht leicht gefallen. Du hattest dir ja Feedback von den Aktiven zu deinem Klassifizierungsvorschlag gewünscht, das du hiermit von mir bekommst. Prinzipiell sollte eine gelungene Klassifizierung aus meiner Sicht zum Ziel haben, eine Balance zwischen Chancengleichheit und ‚kritischer Masse’ an Teilnehmern herzustellen, unter besonderer Berücksichtigung des sozialen Aspekts, dass sich bei umso schwererem Handicap eine umso höhere relative Verbesserung der Lebensqualität durch sportliche Betätigung erreichen lässt. Folgende Punkte sind mir zu der Thematik noch eingefallen: 1. Körperfunktion Was die Bandbreite des Handicaps anbetrifft, haben wir trotz der zusätzlichen Klasse wieder ein ähnliches Szenario wie zuvor: kleine Bandbreiten in A1/A2, C, große Bandbreite in B (wenn auch aufgrund einheitlichen Materials wesentlich geringer als bisher in C) Auch die ‚kritische Masse’ an Teilnehmern erscheint nicht ausgewogen: geringe Teilnehmerzahl in A1/A2, C, riesige Teilnehmerzahl in B Stellt sich die Frage, ob der soziale Aspekt schwer genug wiegt, um diese Disbalance aufzuwiegen Die 3 Alternativen aus meiner Sicht: A B1 (Th1-Th6) B2 (Th7-Th12) C Nachteile: - Ausgrenzung der A1-Fahrer - schwierige Unterscheidbarkeit der Grenzfälle B1/B2 HCT-Lösung ab 2009: A1 A2 B (wie bisher) C (mit einheitlichem Sportgerät – Liegebike) Nachteile: - für A1-Fahrer werden spezielle Strecken ausgewählt werden müssen, eine Strecke wie bei den Paralympics wäre für diese Athleten ungeeignet - mangelnde Erfahrung über die körperlichen Vorteile der Minimalbehinderten gegenüber Querschnittgelähmten im Liegebike (gilt natürlich auch für deinen Vorschlag) - wie die aktuelle Diskussion im handbike.de-Forum zeigt, scheint es auch Behinderungsformen zu geben, die das Fahren in der Liegeposition erschweren oder gar unmöglich machen (Frage ist, inwiefern diese Behinderungsformen für den Spitzensport relevant sind) - Kniebiker und BB-Amputierte müssen auf anderes Material umsteigen A1 A2 B (Th5-Th12) C - für A1-Fahrer werden spezielle Strecken ausgewählt werden müssen, eine Strecke wie bei den Paralympics wäre für diese Athleten ungeeignet 2. Material Die Abschaffung der 45°-Regel ist hoffentlich schon beschlossene Sache Falls nicht, hier noch ein paar Argumente: Bisher wurde von IPC/UCI-Seite immer moniert, typisch für den Radsport sei eine aufrechte Haltung Der entscheidende Unterschied zwischen Handbiken und Radfahren ist aber, dass die Arme für Bewegungen für horizontale Bewegungsabläufe ausgelegt sind, die Beine jedoch für vertikale. Deshalb ist auch die Liegeposition diejenige, die dem Radfahren am nächsten kommt. Ähnlich wie beim Radfahren die Bein-, ist es hier die Armmuskulatur, die hauptsächlich für den Vortrieb sorgt. Ganz im Gegensatz zur Haltung der Kniebiker und BB-Amputierten, bei denen die Arme zu Kraftübertragern der über die Rumpfmuskulatur erzeugen Leistung verkommen. Außerdem hat die Liegeposition den Vorteil, dass die vielzitierten Nachteile bzgl. Atmung der hohen Querschnitte gegenüber den tiefen minimiert werden. Je flacher die Liegeposition, desto schlechter lässt sich die von der Bauchmuskulatur getragene Stützatmung einsetzen. Insofern könnte man sogar über einen maximalen Rückenlehnenwinkel nachdenken Hinterachsbreite: je flacher die Sitzposition, desto niedriger natürlich auch der Schwerpunkt. Logische Konsequenz: die Achsbreite von 60cm aus Sicherheitsgründen ist überdimensioniert. In den sehr kurvenreichen City-Marathons wird inzwischen z.T. sogar schon mit 40cm-Achsen gefahren. Hier sollte man sich am aktuellen EHC-Regelwerk orientieren (RR: 50, vielleicht sogar 40cm, TT: 40cm) . Für den geübten Zuseher sahen die Bikes in Beijing schon richtig altmodisch aus. Freie Sicht: hier ein Regelwerk einzuführen, erscheint mir unsinnig. Wer fährt schon Rad, ohne sehen zu können, wohin? Aber wenn es schon sein muss, dann sollte die Augenhöhe über der oberen Kante des Tretlagers liegen. Gewicht: von verschiedenen Seiten habe ich von der Idee gehört, innerhalb der B-Klasse behinderungsbedingte Nachteile durch ein zusätzliches Gewicht am Bike auszugleichen. Diese Idee halte ich für blanken Unsinn. Wie will man denn herausfinden, welches Gewicht welchem Handicap entspricht? Will man jetzt, da der Winkelmesser endlich ausgedient hat, etwa eine Waage zum bike check heranziehen? Da kann man gleich auf das Zeitfaktorsystem umsteigen und sich die unterschiedlichen Divisionen ganz sparen. Auch ein Gewichtslimit wurde ins Gespräch gebracht. Dafür ist der Zeitpunkt aber noch zu früh, da zumindest die großen Hersteller noch weit von der Grenze entfernt sind, ab der ein Sicherheitsrisiko entsteht. Insofern würde ein solches Limit die Weiterentwicklung der Bikes erheblich einschränken. So, ich denke, das war’s jetzt erstmal, da ich davon ausgehe, dass die Abspaltung der tiefen Querschnitte von den Knie- und BB-Amputierten-Bikes bereits beschlossene Sache ist. Daher erspare ich uns hier die Auflistung der Unterschiede mit den einhergehenden Ungerechtigkeiten und weiteren Nachteilen. Viele Grüße aus der Isarmetropole, Elmar http://www.handbike-power-endurance.de